Es gab schon einige Versuche, den Hilfsgütertransport in die Ukraine zu begleiten. Allerdings war es in der Vergangenheit teils beruflich oder privat nicht möglich. Dieses Jahr hat sich kurzfristig die Möglichkeit, ergeben die Fahrt zu begleiten. Schnell wurde der Express-Reisepass beantragt und gut 1,5 Wochen später geht es los. Unsere Truppe bestand aus Fredi, Ralf, Ron, Dominik und mir.
Nachdem wir in Maria Laach den LKW beladen und „ Zoll fertig“ gemacht haben, geht es am nächsten Morgen in aller Frühe los. Vor uns liegt eine dreitägige Reise, die über das Kloster Melk und Michalovce/Slowakei führte, bis wir die Grenze der Ukraine erreicht haben.
Ein bisschen Aufregung macht sich breit. Ich bin gespannt, ob wir ohne Probleme in die Ukraine einreisen können. Nach nicht einmal 1,5 Std sind wir in der Ukraine. Ich bin überrascht dass das so schnell geht. Hinter der Grenze erwartet uns bereits Boris, ein Mitarbeiter des Heimes.
Nachdem wir den Lkw am Zoll abgegeben haben, fahren wir ca. 60km nach Turja-Remeta, unser Ziel in der Ukraine. Hier spürt man, dass wir nicht mehr in der EU sind, die Straßen lassen uns das hart spüren. Schlaglöcher über Schlaglöcher. Wir fahren direkt ins Heim, wo wir zum Mittagessen eingeladen sind. Als sich das Tor öffnet, empfangen uns die ersten Heimbewohner. Sie fragen nach Zigaretten und schütteln ein jedem die Hand. Im ersten Moment fühlt man sich etwas bedrängt, was aber sehr schnell verfliegt. In dem langen Flur zu Heimleitung fällt mir das erste Mal auf, daß es hier aussieht, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Nach dem Mittagessen und ein wenig Wodka, der zu jedem Essen serviert wird, spüre ich die letzten 3 Tage und freue mich auf unsere Unterkunft. Wir verabreden uns mit Roxana, der Heimleiterin für den nächsten Tag.
Wir schlafen bei Slavik und Kveta, da es in Turja-Remeta kein Hotel oder dergleichen gibt. Kveta hat selbst in dem Heim über Jahre gearbeitet. Vor mehr als 20 Jahren hat es sich ergeben, daß Kveta und Slavik ihr Haus geöffnet haben für die Leute vom Kellerladen. Über die Jahre hat sich ein sehr freundschaftliches und liebevolles Verhältnis aufgebaut. Selten bin ich mit so viel Herzlichkeit empfangen worden. Es sind immer wieder die Menschen die nicht viel haben aber am meisten geben. Von Ihnen können wir ganz viel lernen…
Am nächsten Morgen treffen wir die Heimleitung. Es gibt Probleme mit dem Zoll. Die Papiere scheinen nicht korrekt und müssen neu ausgestellt werden. Nach einigem Hin und Her fahren wir alle gemeinsam zum Zoll. Dort wird mir leider sehr deutlich, dass hier noch andere Gesetze gelten, die der Korruption und der Willkür. Am liebsten wäre ich in den LKW gestiegen und direkt ins Heim gefahren. Natürlich ist das nicht möglich, denn damit würden wir die nächsten Touren gefährden. Man muss sich einfach in Geduld üben, die Dinge hinnehmen und darüber hinwegsehen, auch wenn es sehr schwer fällt
Nach einigem Hin und Her entladen wir den LKW. Es wird alles bis ins Detail notiert und geprüft. Nach gut 4 Std haben wir es geschafft und fahren mit dem entladenen LKW Richtung Heim. Auf der Fahrt mache ich mir so meine Gedanken und frage mich was alles im Heim ankommt….?
Wir verabreden uns für den nächsten Morgen. Wir möchten das Heim besichtigen, sehen wie die Menschen dort leben, wie die Fortschritte sind und wo Hilfe nötig ist.
Für unseren nächsten Besuch kaufen wir Zigaretten ein, so dass jeder von uns mit 1-2 Packungen ausgestattet ist um ein paar an die Bewohner zu verteilen. Zusätzlich haben wir kleine Tafeln Schokolade dabei, die verteilen wir immer, um den Bewohner eine kleine Freude zu machen.
Wir werden dieses Mal von ganz vielen Bewohner empfangen. Etwas mulmig ist mir doch zumute, zwischen den ganzen Menschen. Jedoch merke ich schnell, dass die Bewohner sehr freundlich sind. Man sieht es ihnen an, sie freuen sich uns zu sehen. Das Strahlen in den Gesichtern, man spürt wie aufgeregt sie zum Teil doch sind. Sie haben eben nichts und wir sind für sie eine schöne Abwechslung zum sonst sehr trostlosen Leben. Mir tut es gut und mir gefällt dieser Gedanke, denn das eigentliche Leid zu sehen, stimmt mich traurig.
Wir besichtigen zuerst den Teil mit den geistig behinderten Menschen. Ich bin tief erschrocken, als ich die Zimmer betrete um die Schokolade zu verteilen. Männer wohnen dort in kleinen Zimmer zu dritt, viert oder sogar fünft. Außer einem Bett und einem kleinem Teppich vor dem Bett haben diese Menschen dort nichts. Sie liegen die meiste Zeit in ihren Betten, in durch gelegenen Matratzen. Ich bin entsetzt und kann mir nicht vorstellen auch nur einen Tag in so einem Bett zu liegen, ohne einen Bandscheibenvorfall zu bekommen.
Wir verteilen die Schokolade, viele der Menschen starren die Wände an und nehmen uns nicht wahr, die anderen nehmen die Schokolade an und essen diese zum Teil mit Papier. Doch es gibt dort viele liebevolle Schwestern, die sich um diese Menschen kümmern und ich verlasse diesen Teil des Heimes mit diesem Gedanken an die Schwestern. Das macht es etwas erträglicher…
In dem anderen Teil sind die körperlich behinderten Bewohner. Sie empfangen uns und man hat das Gefühl als würden sie auf nichts anderes warten. Die meistens Bewohner möchten Fotos machen, stellen sich zur jeder Gelegenheit auf und freuen sich, wenn man sie fotografiert, sie begrüßen uns auch hier herzlich und freuen sich natürlich auch wieder über die ein oder andere Zigarette Die meisten Bewohner möchten uns unbedingt ihre Zimmer zeigen. Auch hier ist es ein beklemmendes Gefühl, außer ihrem Bett und vielleicht mit einem kleinen Schrank oder Nachtisch ist hier nichts zu finden. Nicht einmal die Kleidung, die sie tragen, gehört ihnen. Das was ich sehe ist, mit welchem Stolz sie ihre Zimmer zeigen und ich spüre wie bemerkenswert das ist und das wir auch hier einiges lernen können.
Wir besuchen den Essensraum und verteilen während des Mittagessen die Schokolade damit die Ordnung nicht ganz verloren geht. Bei der Verteilung des Essens helfe ich mit. Natürlich geben sich die Mitarbeiter große Mühe. Es erinnert mich trotzdem eher an ein Gefängnis. Das wird den Mitarbeitern aber nicht gerecht und ich schäme mich für diesen Gedanken. Wir sind es einfach anders gewohnt.
Während die Bewohner essen, schauen wir uns die Entwicklung des Heimes an, an einigen Stellen wird gearbeitet und erneuert, aber es gibt noch deutlich mehr Stellen an den dringend Hilfe benötigt wird. Die älteren Bäder und Waschräume sind in einem sehr schlechten Zustand, die möchte man nicht nutzen und die Gerüche geben einem dem Rest…. Im Grunde möchte ich aber den Menschen helfen…. Natürlich hilft ein neues Bad oder saubere Toiletten, aber ich erfreue mich mehr, wenn ich den Menschen etwas persönlich geben kann. Herr „Matratzen-Concord“ müsste man heißen und eine LKW Ladung voller Matratzen bringen….!
Das Ausmaß an Leid beeindruckt mich, daß soviel getan werden muss….an was es dort fehlt.. Ich weiß, dass wir etwas Gutes tun und ein LKW ist besser als keiner. Dennoch habe ich die nächsten Stunden ein schlechtes Gewissen, nur mit einem LKW dort angekommen zu sein…
Nach 2,5 Tage machen wir uns auf dem Heimweg. Wir fahren über die Slowakei und Österreich wieder nach Hause. Zu Hause werden wir von unseren Lieben empfangen. Ich freue mich, meine Frau und meine Tochter wieder in die Arme schließen zu können.
Als ich mich so umschaue, kommt mir der Gedanke, wie gut es uns hier doch geht. Für mich geht diese Reise hier zu Ende und ein Highlight jagt das nächste…. Verwandte kommen abends aus Magdeburg zu Besuch, nach dem Wochenende fange ich einen neuen Job an, im August geht es in den Urlaub und trotzdem denke ich an die Bewohner des Heimes, sie haben keine Highlights. Sie warten nur auf den Herbst wenn wir sie wieder besuchen kommen.…! Für sie eine trostlose Zeit aber so unterschiedlich ist die Welt in 1.600km….
(Sven Kuhl)